Einer chinesischen Sage nach ist die Entdeckung der Akupunktur einem Zufall zu verdanken: Ein Soldat wurde von einem
Pfeil leicht verletzt und stellte in der Folgezeit verblüfft fest, dass nicht nur seine Wunde heilte, sondern auch eine organische Erkrankung, die ihn zuvor geplagt hatte. So viel zur Mythologie.
Fest steht, dass die Geschichte der Akupunktur weit vor unsere Zeitrechnung zurück reicht: Bei Ausgrabungen wurden Stein- und Knochennadeln zu Tage gefördert, die darauf schließen lassen, dass
die Akupunktur schon im 3. Jahrtausend v. Chr. als probate Heilmethode galt. Akupunktur ist Teil eines traditionellen chinesischen, ganzheitlichen Konzeptes von Gesundheit und Krankheit und ist
eng verwoben mit der Philosophie und Kultur Chinas. Wer die Entwicklung der Akupunktur über die Jahrhunderte verstehen möchte, muss sie im Zusammenhang mit dem geistesgeschichtlichen Hintergrund
betrachten. Drei prägende Phasen sind dabei zu unterscheiden
Etwa zur Zeit der großen Kriege (1200 bis 200 v.Chr.) entwickelte sich in China der Schamanenkult: Krankheiten und
Leiden galten als Werk von Dämonen und wurden als unumgänglich angesehen. Dennoch wurden Fasten- und Säuberungsrituale, Atemtechniken und rituelle Tänze zur Vorbeugung gelehrt - und es existierte
ein großes Arsenal an Medizinen aus Kräutern sowie tierischen und mineralischen Substanzen. Aus dem fünften Jahrhundert n.Chr. stammen die Aufzeichnungen des Arztes sun si miao Darin waren 13
"Dämonenlöcher" am menschlichen Körper gekennzeichnet, deren Stimulation mit Nadeln die Heilung von Krankheiten bewirken sollte; ferner nannte er 32 Arzneidrogen gegen Krankheitsdämonen.
Inzwischen war jedoch eine neue naturphilosophische Bewegung herangewachsen: der Taoismus, um 500 v. Chr. von Laotse begründet. Sie betrachtete den Wandel der Natur als Ausdruck der inneren
Gesetzmäßigkeit der Natur, genannt Tao (sprich: "Dao" - wörtlich: Sinn, Weg, Bahn). Das Tao erzeugt das polare Spannungsfeld zwischen den komplementären Kräften Yin und Yang ("Jin" und "Jang"
gesprochen). Aus diesem Spannungsfeld entstehen alle Dinge - auch die Lebensenergie Qi . Tao und Qi sind also der Ausgangspunkt aller Lebensvorgänge.
Wie kein zweiter hat Kong Zi (bei uns besser bekannt als "Konfuzius", 551-479 v. Chr.) die chinesische
Geistesgeschichte geprägt: Die Menschen lösten sich von Schamanenkult und Dämonenglauben und begannen, die Welt rationaler zu sehen. Die Periode vom 5. bis 2. Jahrhundert v. Chr. ist heute als
"Goldenes Zeitalter" bekannt. Zu jener Zeit wurde auch die Akupunktur allmählich Bestandteil der wissenschaftlich begründeten Medizin. Das konfuzianische Weltbild unterscheidet sich vom
vorkonfuzianischen in vielen Punkten. Der wohl wichtigste: Der Mensch ist zwar eingebunden in ein Netzwerk von Naturkräften, doch kann er durch sein Handeln einen gewissen Einfluss auf sich und
seine Umgebung ausüben - und Kong Zi weist den Weg zu gutem Handeln. Einige Philosophen sehen in der konfuzianischen Lehre die Wiege der Emanzipation der Menschheit, da der Mensch erstmals als
eigenverantwortlich gilt. Das wichtigste Ziel menschlichen Handelns ist nach Konfuzius der Einklang mit der Natur und ihren Kräften und der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang spielt das Konzept
der Lebensenergie Qi eine zentrale Rolle: Anstelle von magischen Kräften und Dämonen werden nun physiologische Funktionen und Fehlfunktionen mit Hilfe von Qi erklärt. Einige konfuzianische
Schulen greifen zudem auf die (wesentlich ältere) Lehre von den Fünf Wandlungsphasen; andere mit der Yin-Yang-Lehre, wieder andere mit beiden. Alle Schulen aber betonen, dass es auf die
harmonische Balance der Kräfte ankommt: Sie bedeutet politischen und sozialen Frieden, materielles Wohlergehen, familiäres Glück - und schließlich auch seelische und körperliche Gesundheit. Der
Fluss der Lebensenergie im Körper aber lässt sich unter anderem durch Akupunktur beeinflussen. Grundlegend für die gesamte wissenschaftliche Chinesischen Medizin und damit auch für die
wissenschaftliche Akupunktur ist das "Buch des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin", das eben jenem legendären Herrscher aus dem 3. vorchristlichen Jahrtausend zugeschrieben wurde, tatsächlich
aber erst zwischen 475 und 221 v. Chr. entstanden sein dürfte: Dort finden sich erste genaue Anweisungen zu Akupunktur, Moxibustion, Schröpfkopfbehandlung und zur Zungen- und Pulsdiagnostik sowie
generell zur medizinischen Diagnostik.
Bis zum 19. Jahrhundert entwickelte sich die Traditionelle Chinesische Medizin, und mit ihr die Kunst
der Akupunktur, als Bestandteile der chinesischen Kultur stetig und ohne Einfluss von außen weiter. Einen deutlichen Einschnitt bewirkte erst die zunehmende Präsenz des Westens - leider ausgelöst
durch einen militärischen Angriff: Nachdem die Briten in den so genannten Opiumkriegen (1840-42) das Reich der Mitte niedergezwungen hatten, sahen sich China und bald ganz Ostasien westlichen
Einflüssen ausgesetzt, die zu einer kulturellen Entwurzelung zu führen drohten. Die zweitausend Jahre alte Tradition der chinesischen Medizin schien jäh zu Ende - auch von Chinesen wurden ihre
Methoden nun vielfach als Aberglaube abgetan. Im Jahre 1929 wurde die Traditionelle Chinesische Medizin sogar von der politischen Führung des Landes verboten. Erst in den 60er Jahren des vorigen
Jahrhunderts setzte unter Mao Tse Tung eine Phase der Rückbesinnung auf die eigene Kultur ein. Sie verhalf auch der Traditionellen Chinesischen Medizin zu neuem Aufschwung und ließ sogar neue
Formen der Akupunktur wie Ohr-, Schädel- oder Hand-Akupunktur entstehen. Die Elektroakupunktur und die Akupunktur-Anästhesie gehen ebenfalls auf jene Zeit zurück. Auch in Europa befassten sich
nun immer mehr Menschen mit dieser Heilkunst, die - fernab von jeder Esoterik - zu einer exakten Wissenschaft geworden war. Heute ist Akupunktur eine der wichtigsten Therapien in der chinesischen
Medizin. Zwar ist diese auch mit allen westlichen Methoden bestens vertraut - doch ohne die Akupunktur wäre das Gesundheitssystem des 1,19 Milliarden Menschen zählenden Volkes wohl kaum in diesem
Maße leistungsfähig und finanzierbar. Offensichtlich gibt es in China für uns viel zu lernen.
Ein stechender Schmerz im Lendenbereich - "Hexenschuss". Wer kennt ihn nicht? Und nun schaffen ein paar Nadeln in der Hand das, was selbst Cortison-Injektionen nicht vermochten: Die Beschwerden
verschwinden in wenigen Minuten. Wie ist das möglich?
Früher nahm man an, die Akupunktur wirke ähnlich wie eine Massage - sie lindere vorübergehend die Schmerzen durch Reizung von Schmerzzonen auf der Haut. Manche sahen in ihr eine
Suggestionstherapie oder sprachen von Placebo-Effekt. Doch solche Erklärungsversuche sind unzureichend, denn die Akupunktur zeigt auch bei Tieren Wirkung.
Heute gibt es bereits fundierte Antworten auf die drei Kernfragen zur Wirkungsweise der Akupunktur:
Nach den Lehren der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gehen alle Krankheiten und Beschwerden auf eine Störung im Fluss der Lebensenergie Qi zurück: Qi fließt im Körper und ermöglicht
sämtliche Funktionen - von der Atmung und Muskelbewegung über die Verdauung bis hin zur Infektabwehr. Wird dieser Energiestrom blockiert, kann es an bestimmten Stellen zu einem Zuviel oder
Zuwenig an Qi kommen, und dies hat gesundheitliche Störungen - wie eben auch Schmerzen - zur Folge.
Dieses Phänomen lässt sich auch in der westlichen Medizin anhand physiologischer Vorgänge erklären: Wenn ein Mensch oder Tier Schmerz empfindet, werden so genannte Schmerzfühler (Nozizeptoren) im
Gewebe erregt. Sie wandeln den Schmerz in elektrische Impulse um, die dann über Nervenfasern zum Rückenmark geleitet werden ("neuronale übertragung"). Dort wirken sie auf bestimmte, im hinteren
Bereich des Rückenmarks gelegene Zellen ("Hinterhornneurone") ein. über lange Nervenfasern des Rückenmarks wird die elektrische Botschaft zum Zwischenhirn und von dort zum Großhirn geleitet.
Angriffspunkte zur Dämpfung der Schmerzübertragung sitzen grundsätzlich an den Schaltstellen zwischen den Nervenfasern - den so genannten Synapsen -, und zwar entweder vor (präsynaptisch), direkt
bei oder hinter der Schaltstelle (postsynaptisch).
Jede der drei genannten "Stationen" der Schmerzübertragung hat eine eigene Aufgabe: Im Rückenmark kann der Schmerz verändert oder gar blockiert werden; im Zwischenhirn wird er individuell und
emotional bewertet (z.B., ist es ein harmloser Stoß oder ein Bruch?); im Großhirn schließlich wird der Schmerz genau lokalisiert.
Nach der chinesischen Lehre fließt die Lebensenergie Qi in definierten Energiebahnen - den so genannten Meridianen - durch den Körper. Auf den Meridianen befinden sich die Akupunkturpunkte, durch
deren Reizung man den Energiefluss regulieren kann: Ein Zuviel an Energie wird gedämpft, ein Mangel behoben, Blockaden werden gelöst.
Der Therapeut reizt mit der Akupunkturnadel genau den Punkt, der über Meridiane mit der erkrankten oder schmerzenden Körperstelle verbunden ist. Der Reiz löst Impulse aus, die wiederum über die
(durch Synapsen verbundenen) Nervenfasern an die Hinterhornneurone weitergeleitet werden und deren elektrische Erregbarkeit reduzieren oder sogar blockieren und damit das Schmerzempfinden
beeinflussen.
Die nun ablaufenden Mechanismen lassen sich heute zumindest für die Schmerzbehandlung wissenschaftlich beschreiben. Nach einschlägigen Studien spielt jede der drei "Stationen" der
Schmerzübertragung auch bei der Dämpfung des Schmerzes durch Akupunktur eine ganz spezielle Rolle:
Je nachdem, wie die Akupunkturnadeln nach dem Setzen stimuliert werden, kann der Arzt auch die einzelnen Wirkweisen gezielt beeinflussen.
Auf diese Weise wirken zwei Mechanismen parallel: Zum Einen wird die ursprüngliche Schmerzinformation an das Gehirn ganz oder teilweise unterdrückt; zum Anderen hat die Ausschüttung der
körpereigenen Hormone und Substanzen eine Schmerz lindernde, beruhigende und immunstimulierende Funktion. Letzteres mag erklären, warum auch Entzündungen, vegetative Störungen und Allergien
(selbst Bronchospasmen bei Asthma!) erfolgreich mit Akupunktur behandelt werden können - und das ohne Nebenwirkungen. Sicherlich wird die Forschung in Zukunft weitere Wirkebenen der Akupunktur
entdecken - fast täglich kommen neue Erkenntnisse hinzu.
Bei einer Akupunktursitzung liegt der Patient entspannt auf einer Liege. Nach Erhebung der Krankengeschichte bestimmt der Arzt die relevanten Akupunkturpunkte. Dort
wird die Akupunkturnadel gesetzt und gegebenenfalls zusätzlich stimuliert.
Der Einstich selbst ist bei professionellem Vorgehen - und bei Verwendung steriler, qualitativ hochwertiger Einmalnadeln - fast schmerzfrei. Häufig ist er gefolgt
von einem leichten Schwere-, Wärme- oder Druckgefühl, in Einzelfällen auch einem leichten Gefühl der "Elektrisierung". Nach einigen Minuten entspannt sich der Körper, Arme und Beine fühlen sich
schwerer an. Viele Patienten berichten über ein "Gefühl des Fließens" im Körper - zunächst im Kopf und Brustkorb, dann auch in den unteren Körperregionen -, das von einer Sitzung zur anderen
stärker empfunden wird. Diese Empfindungen interpretieren die Chinesen als Ausdruck des Qi-Flusses.
Akupunktursitzungen werden bei akuten Erkrankungen relativ häufig durchgeführt (bis zu einmal täglich), bei chronischer Erkrankung meist ein bis zweimal pro Woche (6
bis 10 Wochen lang).
Eine Sitzung dauert zwischen 20 und 45 Minuten. In der Regel sind bei akuten Erkrankungen 3 - 6 Sitzungen, bei chronischen 12 - 20 Sitzungen erforderlich. Eine
Auffrischbehandlung kann erforderlich sein.
lndikationenliste erstellt von DAGfA, DAGD, DgfAN, SMS, FATGM; mit freundlicher Genehmigung des Berufsverbandes Deutscher Akupunkturärzte.
Diese folgende Liste enthält nur die lateinischen Bezeichnungen. Wir werden über den Jahreswechsel eine allgemein verständliche "Übersetzung" anfertigen. Bis dahin
können Sie uns gern eine Mail schicken, wenn Sie etwas nicht zuordnen können.